Rey Alp hat geschrieben:(...) ist mir einen Tick zu hypothetisch für einen prägnanten Beitrag.
Verfassungsbeschwerde gegen § 131 StGB nicht zur Entscheidung angenommen
Durch das zum 27. Januar 2015 in Kraft getretene 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde der § 131 Strafgesetzbuch (StGB) verschärft, der Medien mit gewaltverherrlichenden, -verharmlosenden oder sonst die Menschenwürde verletzenden Inhalten Beschränkungen auferlegt. Der Straftatbestand wurde nicht nur redaktionell neu gefasst, sondern unter anderem um eine Versuchsstrafbarkeit ergänzt. Hiergehen hat gemeinsam mit weiteren Beteiligten der Verband für Deutschlands Video- und Computerspieler (VDVC) am 17. Dezember 2015 eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, die das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2017 nicht zur Entscheidung angenommen hat (Az.: „2 BvR 149/16“).
Die Beschwerdeführer hatten angeführt, dass sie als Spieler von in Hinblick auf § 131 StGB gerichtlich beschlagnahmten oder durch die Bundesprüfstelle indizierten Titeln - darunter die Spiele „Left for Dead 2“, „Wolfenstein“, „Dead Rising 2“, „Killing Floor“ und „Necrovision“ - durch den § 131 StGB in deren Nutzung eingeschränkt seien: Es werde beispielsweise nunmehr bereits der Versuch, entsprechende Inhalte Telemedien der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Szenetypische Übertragungen des eigenen Spiels - sogenannte „Let's Plays“, die über Plattformen wie „Twitch“, „Youtube“ oder das bei „Steam“ integrierte „Steam Broadcasting“ erfolgen können - sind demnach schon vom Tatbestand erfasst, bevor auch nur eine Person zuschaut.
Das Bundesverfassungsgericht vermochte in seiner Entscheidung nicht zu erkennen, dass die Nutzer durch die Gesetzesänderung konkret betroffen wären:„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Absatz 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist wegen einer nicht den gesetzlichen Anforderungen genügenden Begründung, aus der sich ergibt, inwieweit die Beschwerdeführer konkret von der angegriffenen Regelung betroffen sein könnten, unzulässig.“
Demnach genügt bei einer Gesetzesverfassungsbeschwerde der Vortrag der Beschwerdeführer, dass diese ein dem Tatbestand eines Strafgesetzes unterfallende Inhalte in nicht verbotener Weise nutzen und Aufnahmen im Rahmen zulässiger Berichterstattung in Telemedien öffentlich zugänglich machen, nicht, um eine konkrete Betroffenheit für die Bestimmung zu begründen, die den Versuch unter Strafe stellt, entsprechende Inhalte allgemein mittels Telemedien der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Dies verwundert vor dem Hintergrund, dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers zwar „nicht schon deswegen zu bejahen [ist], weil der Beschwerdeführer potentiell durch die Gesetzesnovelle betroffen sein kann“ (BVerfG, Beschl. Beschl. v. 12-02.2010 - 1 BvR 2062/09), jedoch „nicht verlangt werden [könne], daß ein Betroffener vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- [...] oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zunächst eine Zuwiderhandlung begeht, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend zu machen“ (BVerfG, Beschl. v. 14.11.1989 - 1 BvL 14/85, 1 BvR 1276/84.). Der Vorstandsvorsitzende Patrik Schönfeldt bedauert diese Entscheidung: „Es ist so, dass den Nutzern von dem § 131 StGB unterfallenden Videospielen die Möglichkeit genommen wird, ohne Begehung einer Straftat eine gerichtliche Prüfung der sie beispielsweise beim Spielen, Streamen und Verkauf treffenden Restriktionen zu ermöglichen“. Bei über die Plattform „Steam“ bezogenen Spielen seien es maximal acht Mausklicks, durch die der Nutzer eine nach § 131 StGB verbotene Übertragung einleiten könne.
Mit den inhaltlichen Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 131 StGB hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht mehr auseinandersetzten müssen.1. Fehlen einer Kunstklausel:
Nach dem Bundesverfassungsgericht obliegt dem Gesetzgeber „eine Pflicht [zur Bestimmung der erforderlichen Leitlinien] […], wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen“. So „mußte der Gesetzgeber den Ausgleich von Kunstfreiheit und Jugendschutz im Bereich jugendgefährdender Schriften selbst regeln“ (BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87.), in dem er in den § 18 Abs. 3 Nr. 2 JuSchG eine Kunstklausel einfügte. Im Fall des § 131 StGB vertrat der Gesetzgeber eine entgegengesetzte Auffassung, nach der im Fall des § 131 StGB „auf eine derartige Erweiterung […] verzichtet werden [könne], zumal sie Anknüpfungspunkt für nicht erwünschte Rückschlüsse eröffnen würde, die dahin gehen könnten, daß der Gesetzgeber den Kunstcharakter einer Schrift oder einer Tathandlung i. S. d. Absatzes 1 grundsätzlich für möglich hält. [...] Sofern allerdings in Ausnahmefällen eine künstlerische Schrift die Merkmale des Absatzes 1 erfüllen sollte bzw. eine Tathandlung i. S. dieser Vorschrift der Kunst dient, so wird gleichwohl im Wege der Auslegung gemäß Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 GG (Kunstvorbehalt) eine Strafbarkeit zu verneinen sein“.
2. Fehlender Nachweis einer (schädlichen) Wirkung:
Schon 1970 konstatierte ein Sonderausschuss des Deutschen Bundestags, dass in Hinblick auf den Einfluss von Gewaltdarstellungen bloß von „Vermutungen und Hypothesen“ gesprochen werden könne (BT-Drs. 6/3521, S. 5.). An diesem Stand hat sich trotz verschiedenster Studien auch 40 Jahre später nichts Grundlegendes geändert: 2010 erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Jugendschutzgesetz des Staates Kalifornien für verfassungswidrig, weil psychologische Studien nicht belegen konnten, dass Videospiele bei Minderjährigen ein aggressives Verhalten hervorrufen (SCOTUS, Brown v. Entertainment Merchants Assn., 564 U.S. 08-1448, S. 12 f.): „They do not prove that violent video games cause minors to act aggressively […]”. Der deutsche Gesetzgeber machte daher 1984 von seiner Einschätzungsprärogative Gebrauch, die der Supreme Court dem kalifornischen Gesetzgeber nicht zugestand: „[…] Ambiguous proof will not suffice“.
3. Fehlender Nachweis einer Zunahme der Kriminalität
Entgegen den Vorstellungen mancher Politiker besteht das Verbot des § 131 StGB nicht, um moralisch verwerfliche Darstellungen zu unterbinden, sondern um zu verhindern, „dass ein Dritter unschuldig Opfer einer durch Medieneinfluss stimulierten Gewalttat“ werden könnte (BT-Drs. 6/3521, S. 6.). Demnach kann „die Strafvorschrift […] nur als – weit vorgelagerter – Schutz des Einzelnen (und der Allgemeinheit iS abstrakter Gefährd- ung) vor Gewalttaten legitimiert werden“ (Tröndle/Fischer, § 131 Rn. 3.). Der Nachweis, dass die Nutzung gewaltdarstellender Inhalte zu einer Zunahme der (Gewalt-) Kriminalität führt, wurde jedoch bisher noch nicht erbracht. Es gibt dagegen Studien die darauf hindeuten, dass das Gegenteil der Fall sein könnte: Demnach würde der Nutzer – selbst wenn er durch das Spielen aggressiver werden sollte – weniger Straftaten begeht, da er – weil er andauernd nur vor dem Bildschirm hockt – hierzu weniger Gelegenheiten hat (Engelstätter, Benjamin/Cunningham, A. Scott/Ward, R. Michael (2011), Understanding the Effects of Violent Video Games on Violent Crime, ZEW Discussion Paper No. 11-042.):
„The incapacitation effect dominates the behavioral effect such that, overall, violent video games lead to decreases in violent crime.“
Links:
- Blogeintrag beim VDVC
- 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches
- Text der Verfassungsbeschwerde
- Beschluss des BVerfG
Der VDVC wurde am 12. Juli 2009 im AKK auf dem Gelände der Universität Karlsruhe (heute: KIT) von Spielern für Spieler gegründet. Bekannt geworden ist der VDVC durch die Demonstration für Spielkultur unter dem Titel „Wir sind Gamer”, die zusammen mit der Aktion Jugendkultur organisiert wurde und am 25.07.2009 in Berlin, Karlsruhe und Köln stattfand. Inzwischen hat sich der VDVC als unabhängige Verbraucherorganisation etabliert, die sich an der öffentlichen Debatte beteiligt. Der VDVC veröffentlicht jährlich die Ergebnisse eine Umfrage zur Spielenutzung und den Interessen der Gamer in Deutschland sowie einen Zensur-Jahresrückblick.
Ansprechpartner:Patrik Schönfeldt
VDVC e.V.
Postfach 6502
76045 Karlsruhe
Telefon: +49 151 55273955
E-Mail: info@vdvc.de
Rigolax hat geschrieben:Braindead ist noch beschlagnahmt, so weit ich weiß.
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