c. Zumindest ist der Wortlaut in der Praxis nicht geeignet, eine Anwendung des § 131 StGB auch nur annährend in verfassungskonformer Weise zu gewährleisten, was durch in Hinblick auf § 131 StGB ergangene Beschlagnahmebeschlüsse – gegen die Rezipienten kein Rechtsweg offen steht – regelmäßig unter Beweis gestellt wird.
Den Beschwerdeführern liegen zehn Entscheidungen vor, die den dargestellten Anforderungen an eine nach § 131 StGB vorzunehmen Beschlagnahme nicht gerecht werden (AG München, Beschl. v. 19.07.2004 - 853 Gs 261/04 („Mahnhunt“); AG Hamburg, Beschl. v. 11.06.2007 - 167 Gs 551/07 („Dead Rising“); AG München, Beschl. v. 20.11.2007 - 855 Gs 426/07 („Scarface: The World Is Yours“); AG München, Beschl. v. 15.01.2008 - 855 Gs 10/08 („Condemned“); AG Amberg, Beschl. v. 17.06.2008 - 102 UJs 1987/08 („Soldier of Fortune: Payback“); AG München, Beschl. v. 27.08.2008 - 855 Gs 384/08 („Codemned 2“); AG Detmold, Beschl. v. 19.01.2010 - 3 Gs 99/10 („Wolfenstein“); AG Tiergarten, Beschl. v. 15.02.2010 - (353 Gs) 75 Js 1079/09 (694/10) („Left 4 Dead 2“); AG Bautzen, Beschl. v. 18.11.2011 - 43 Gs 837/11 („Dead Rising 2").).
aa. In keinem der zehn Beschlüsse wird hinsichtlich des Inhalts zwischen interaktiven Elementen und vorgefertigten (Zwischen-) Sequenzen unterschieden, wobei allein letztere das Tatbestandmerkmal der Schilderung zu erfüllen vermögen. Weiter finden sich alleine in drei der zehn Beschlüsse überhaupt Feststellungen zum Vorhandensein von derartigen Inhalten (Vgl. „Beschluss: Scarface: The World Is Yours“, „Wolfenstein“ und „Left 4 Dead 2“), während in den übrigen sieben allein das – nicht tatbestandliche – Spielgeschehen beschrieben wird.
bb. In dreien der zehn Beschlüsse wird an Gewaltdarstellungen gegen „Zombies“ bzw. „Infizierte“ angeknüpft („Dead Rising“; „Left 4 Dead 2“; „Dead Rising 2“), obwohl diese bei verfassungskonformer Auslegung des § 131 StGB keine tauglichen Tatobjekte darstellen können. Eine Menschenähnlichkeit ist hier zu verneinen, da die jeweiligen Figuren durch ihre nach Äußerlichkeit und Verhalten bestimmte Erscheinung nicht „Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen“: Deren Verhalten ist zumeist durch Instinkte bestimmt, es fehlt an der Fähigkeit Schmerzen zu empfinden und medizinisch gesehen müssen sie – sofern man die für Menschen geltenden Vorstellungen zu Grunde liegt – tot sein. Auch sind sie teilweise mit Fähigkeiten, wie dem Spucken von Säure, ausgestattet, über die Menschen nicht verfügen.
cc. In keinem der zehn Beschlüsse wird in den Gründen eine tragfähige Begründung für eine Verherrlichung, Verharmlosung bzw. Menschenwürdeverletzung dargelegt.
i. Dies dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass teilweise der Inhalt der von der BPjM formulierten Indizierungsentscheidung übernommen wird, die hinsichtlich des § 131 StGB aber nur bedingt Ausführungen enthält. So findet in dem Beschlagnahmebeschluss zu „Dead Rising 2“ keine Diskussion der Tatbestandsmerkmale des § 131 StGB statt, sondern auf eine „sozialethischen Desorientierung“ abgestellt. Erkennbar ist die Übernahme ebenfalls daran, dass in den Gründen versäumt wurde den Begriff „des Gremiums“ zu ersetzen. Auch im Beschlagnahmebeschluss zu „Left for Dead“ finden sich Ausführungen dazu, dass „Gewalthandlungen, insbesondere Mord- und Metzelszenen, […] selbstzweckhaft und detailliert dargestellt“ würden. Auch hiermit wird offensichtlich auf den Indizierungskatalog des § 15 Abs. 2 Nr. 3a JuSchG Bezug genommen, der „Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt“ verlangt, während in Hinblick auf den § 131 StGB bereits durch das BVerfG klargestellt wurde, dass die Selbstzweckhaftigkeit insoweit kein Kriterium sein kann.
ii. In einem Fall, der Beschlagnahme von „Wolfenstein“, fehlt es im Übrigen an jeglicher Auseinandersetzung mit den Tatbestandsmerkmalen des § 131 StGB. Der Beschluss erschöpft sich insoweit in dem Aufzählen von sechs enthaltenen Gewaltdarstellungen.
iii. Soweit eine Auseinandersetzung mit dem Tatbestand des § 131 StGB stattfindet, vermag diese eine Beschlagnahme jedoch ebenfalls nicht zu tragen. Wesentlicher Anknüpfungspunkt ist regelmäßig allein, dass sich der Spieler in den jeweiligen Szenarien widerholt Situationen ausgesetzt sieht, in dem er andere Lebende oder Untote töten muss, um selbst zu überleben.
Zu „Mahnunt“:
- „Darüber hinaus wohnt dem Spiel „Manhunt“ eine äußerst menschenverachtende Grundhaltung inne, die jedes Element des Spiels durchzieht. Das eigene Überleben steht im Vordergrund, nichts anderes ist von Wert; somit gilt es jeden, der sich in den Weg stellt, zu töten. […] Irgendwelche Grenzen gibt es nicht mehr. „Manhunt“ glorifiziert somit nicht lediglich Selbstjustiz, sondern gar die vollständige Loslösung von den grundlegendsten Regeln menschlichen Zusammenlebens.“
Zu „Dead Rising“:
- „Auf dem Weg zur Erfüllung des Spielziels rückt das Leid eines Gegners völlig in den Hintergrund. Die feindlichen Figuren stehen zwischen dem Spieler und dem Erfüllen der jeweiligen Mission oder fungieren nur als Punktlieferanten, die den Status der Spielerfigur verbessern. Sie müssen zum Teil auch zwangsläufig getötet werden, wenn sie etwa Wege blockieren oder für die Entwicklung der Rahmenhandlung eliminiert werden müssen. Das Umgehen oder Passieren der Gegner ist oftmals, nicht praktikabel, da man vor allem im späteren Spielverlauf von Dutzenden Zombies eingekesselt wird.“
Zu „Scarface“:
- „Brutalität und Kriminalität sind Dogmen dieser virtuellen Welt. Dadurch wird die Loslösung von den Grundregeln menschlichen Zusammenlebens glorifiziert, die Ausübung von Gewalt als (einziges) Mittel zu Aufstieg und Ruhm vermittelt und dadurch verherrlicht.“
Zu „Condemned“:
- „Gewalt ist das einzige Mittel zur Konfliktlösung. Brutale, ungehemmte, menschenverachtende und -vernichtende Gewalt ist vorrangiges Spielziel. Gewalttätigkeiten werden verherrlicht und verharmlost. Der Spielverlauf lässt, aufgrund der grafischen Darstellung und der gewählten Perspektive (subjektive Kamera) die Anwendung von (brutalster) Gewalt als Abenteuer oder Bewährungsprobe für „männliche” Tugenden oder Fähigkeiten erscheinen.“
„Soldier of Fortune: Payback“
- „Die Gegner müssen getötet werden, wenn der Spieler vermeiden will, dass seine eigenen Spielfigur verletzt wird oder gar stirbt. Eine Handlungsalternative, ein Ausweichen oder ein anderes taktisches Verhalten wird durch das Spiel als Mittel zur Konfliktlösung nicht angeboten. Vorrangiges Spielziel ist die menschenvernichtende Ausübung von Gewalt. Dadurch werden die Gewalttätigkeiten verherrlicht und verharmlost.“
Zu „Condemned 2“:
- „Wie schon sein Vorgänger vermittelt “Condemned 2″ in erster Linie die Botschaft, dass das Töten von menschlichen Wesen zu einem besonderen Spielspaß verhilft. Die feindlichen Figuren müssen getötet werden, wenn der Spieler vermeiden will, dass seine Spielfigur verletzt wird oder stirbt. Eine Alternative zur Tötung des Gegners, etwa Ausweichen, List oder taktisches Verhalten, wird durch das Spiel faktisch nicht zugelassen.“
Zu „Left 4 Dead 2“:
- „Das Spiel enthält mit seinen Tötungsszenarien, dem Abtrennen von Armen und Beinen sowie unter Beschuss zerfetzenden Köpfen omnipräsente und brutalste Gewaltdarstellungen. Jede Einzeltat wird bereits durch die Quantität der Darstellungen bagatellisiert und damit verharmlost.“
Es dürfte bezweifelt werden können, dass das Töten zur Rettung des eigenen Lebens nach der in Deutschland vorherrschenden Werte- und Gesellschaftsordnung pauschal als „menschenverachtende“ Handlung bzw. als „Loslösung von den grundlegendsten Regeln menschlichen Zusammenlebens“ anzusehen ist. So findet sich eine entgegensetzte Wertung u. a. in der deutschen Rechtsordnung wieder: Im Rahmen der Notwehr sowie des rechtfertigenden und entschuldigenden Notstandes gem. der §§ 32 ff. StGB bleiben derartige Handlungen regelmäßig straflos. Auch im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen handeln (deutsche) Soldaten im Rahmen eines legitimen Einsatzes gerechtfertigt, wenn sie feindliche Kombattanten beschießen und diesen hierbei womöglich sogar tödliche Verletzungen zufügen (M. w. N.: Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Kommentar, 4. Aufl. (2013), V. zu § 211 Rn. 5.). Weiter wird es im Zusammenhang mit militärischen Auslandseinsätzen der Bundeswehr als legitim betrachtet, wenn zum Eigenschutz angreifende Soldaten bekämpft werden, auch wenn dabei deren „Leid […] völlig in den Hintergrund“ tritt. Im Rahmen der Prüfung der Strafbarkeit des § 131 StGB wird erkennbar an eine Parallelwertung der Geschehnisse angeknüpft, wie sie in der Realität vorzunehmen wäre. Von daher erscheint es als logischer Bruch, wenn Handlungen, die nach der jetzigen Werteordnung in der Realität anerkannt oder zumindest nicht als verwerflich betrachtet werden, abweichend bewertet werden, wenn sie innerhalb der fiktiven Welt von Videospielen dargestellt werden.
In diesem Zusammenhang sollte auch angedacht werden, es für eine Bejahung der Verherrlichung nicht pauschal ausreichen zu lassen, wenn eine grausame Gewalttätigkeit „als Bewährungsprobe für männliche Tugenden oder Fähigkeiten oder als billigenswerte Möglichkeit zur Erlangung von Ruhm, Anerkennung oder Auszeichnung" (Lackner, in: Lackner/Kühl, § 131 StGB Rn. 6; Liesching (2002), S. 98.) – wenn auch nur "in einer anderen auch fiktiven Epoche oder unter anderen sozialen Bedingungen" (Höynck, ZIS 2008, S. 206, 209.) – dargestellt wird. So wurde unter anderem von der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland das Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit an Soldaten der Bundeswehr verliehen, die sich im ISAF-Einsatz im Rahmen von schweren Gefechten durch „Mut, Führungskönnen, Entschlusskraft und selbstlosen Einsatz“ auszeichneten. Soweit in der Realität grausame Gewalt gegen Menschen von der Bundesregierung akzeptiert und ausgezeichnet wird, sollte diese virtuell nicht wegen Gewaltverherrlichung das Verbot betroffener Schriften begründen können.
Weiter bestehen es Bedenken, dass Gerichte regelmäßig die Darstellung von Gewalt mit deren Bejahung gleichsetzen.
Das "Manhunt" in der BRD entgegengebrachte Unverständnis geht unter anderem darauf zurück, dass den jeweiligen Rezipienten pauschal eine Freude an den dargestellten Gewalttätigkeiten bzw. an deren Ausübung unterstellt wird. Abweichend von Filmen, in denen beispielsweise mit der Produktion Funny Games von Michael Haneke versucht wird, "Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar" (Michael Haneke, zitiert nach: Wikipedia, Eintrag: "Funny Games".), werden Videospiele hierzulande maßgeblich als Kinderspielzeug wahrgenommen, denen ein intellektueller Anspruch nicht zugestanden wird: Gewalttätigkeiten dürfen allein nach Maßgabe eines vorgeblichen gesellschaftlichen Konsens stattfinden. Das heißt sowohl Darstellung als auch Hintergrund müssen - wie von einem schlichten Unterhaltsprodukt erwartet - konsumierbar sein. Die virtuellen Darstellungen fiktiver Gewalt sowie deren Hintergründe dürfen nicht verstören, sondern müssen pädagogisch unbedenklich sein. Demnach sind, um den Einschränkungen von Indizierung und Beschlagnahme zu entgehen, gewaltdarstellende Videospiele so anzulegen, dass Art und Grund des Tötens "unbedenklich" sind. Das Spiel muss dem Spieler die Wertung, ob er richtig handelt, abnehmen bzw. tiefergehende Gewissenskonflikte ersparen. Die schlichte Schwarz-Weiß-Malerie, die Gewissheit, zu den Guten zu zählen und das richtige zu tun, sind dabei Merkmale von jugendschutzkonformen "Erwachsenentiteln", die sich wohl nicht nur zufällig in us-amerikanischen Mainstreamshootern mit patriotischem Einschlag wiederfinden. Titel, in denen dem Spieler die moralische Einordnung seiner Entscheidungen nicht abgenommen wird oder bei denen sich das Ausüben von Gewalttätigkeiten nicht rechtfertigen lässt, zählen dagegen zu den Produktionen, die der Staat auszumerzen versucht. Ein Zustand, der bereits 2009 von dem Journalisten Christian Stöcker kritisiert wurde:
- „Narrativ und ideologisch aber sind diese Titel auf dem Niveau eines Weltkriegsfilms aus den Fünfzigern: Böse Aliens als Gegner erlauben rassistische Ausbrüche im Off-Text, wie sie John Wayne sich damals auch gegenüber japanischen Komparsen noch leisten durfte. Das simple Gut-Böse-Schema macht das Töten zu etwas zweifelsfrei Richtigem. [...] Den Ausbruch aus diesem tumben Schema haben schon einige versucht, am erfolgreichsten Rockstar Games mit ihrer "Grand Theft Auto"-Reihe ("GTA"). Darin wird der Spieler stets zum gebrochenen Helden, zu einer ambivalenten Figur, deren Mordtaten nicht durch Globalpatriotismus zu rechtfertigen sind. [...] Gerade solche Titel werden von Zensur-Forderern und Spielefeinden stets als Paradebeispiel für die Verderbtheit des ganzen Mediums herangezogen - auch, weil die Mordopfer darin aussehen wie echte Menschen. Dabei gehören Rockstar-Titel in ihrer satirischen Ambivalenz zu den wenigen, die einen Schritt über das tumbe "Töten ist gut, solange es die richtigen trifft" der meisten Shooter hinausgehen.“
(Stöcker, Spiegel Online v. 23.02.2009.).
dd. Lediglich in einem der zehn Beschlagnahmebeschlüsse („Left 4 Dead 2“) fällt überhaupt das Wort „Kunst“, wobei sich auch diese Nennung in der unbegründeten Behauptung erschöpft, dass die Maßnahme verhältnismäßig sei. In den übrigen Beschlüssen wird die Frage, ob das jeweils betroffene Videospiel in den Schutzbereich der Kultusfreiheit fällt bzw. in Hinblick hierauf höhere Anforderungen an die durchzuführende Prüfung zu stellen sind, in keiner Weise thematisiert. Dies gilt somit auch für die den Titel „Manhunt“ betreffenden Entscheidung, der – ähnlich wie die Filme „Das Millionenspiel“ und „Running Man“ sowie der Roman „The Running Man“ von Stephen King – auf die 1958 veröffentlichte Kurzgeschichte „Le Prix du danger“ von Robert Sheckley zurückgeht. Levi Buchanan beschrieb in der Chicago Tribune „Manhunt“ als „the Clockwork Orange of video games“, was es zum “most important video game of the last five years” mache (Levi Buchanan, `Manhunt' a solid game, but do you want the gore?, ChicagoTribune v. 24.11.2003, url: articles.chicagotribune.com/2003-11-24/features/0311240161.).